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AnwaltsVerband Baden-Württemberg
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Darstellung der drei Löwen des Baden-Württembergischen Wappens

Gesellschaftspolitische Matinee 2017 - Ethische Verantwortung der Medien

Am 18. Mai 2017 lud der Anwaltsverband Baden-Württemberg wiederum zahlreiche Gäste aus der Landespolitik, der Justiz und verschiedenen Berufs- und Wirtschaftsorganisationen, aber auch aus den Bereichen Kultur, Bildung, Sport sowie Wohlfahrtspflege, zur gesellschaftspolitischen Matinee nach Stuttgart ein. Unter der Leitung des SWR-Moderators Michael Saunders konnten die mehr als 60 Teilnehmer eine spannende Diskussion zum Thema "Ethische Verantwortung der Medien" mitverfolgen. Als Experten dazu sprachen Prof. Dr. Petra Grimm (Leiterin des Instituts für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien - HdM - in Stuttgart), Christine Bilger (Journalistin der Stuttgarter Zeitung und Kreisvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes - DJV), RA Prof. Dr. Ralf Hoecker, LL.M. (Presse- und Medienrechtsanwalt aus Köln) sowie der Mediensprecher des Landgerichts Stuttgart, RiLG Dr. Johannes Fridrich. 

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Nach der Begrüßung der Gäste durch den Präsidenten des Anwaltsverbandes RA Prof. Dr. Peter Kothe sprach Herr Saunders mit Blick auf die Erfahrungen in den "Kachelmann-Prozessen" ein Zitat des BILD-Zeitungsjournalisten Franz Josef Wagner an: "Verdacht sei wie in einer Mülltonne leben". Auch fragte Saunders nach dem Verhältnis von Satire zur Verletzung von Persönlichkeitsrechten, etwa im Fall der AFD-Politikerin Alice Weidel, die in der Sendung "extra 3" im April 2017 als "Nazi-Schlampe" bezeichnet worden sei. Zuvor habe sie geäußert, dass "politische Korrekheit auf den Müllhaufen der Geschichte" gehöre. 

RA Prof. Höcker erwiderte, er verdiene sein Geld mit sog. "Fake News". Die Journalisten wüssten in der Regel, was sie rechtlich dürften. Aber, wenn es der Auflagenerhöhung nütze, würden auch sensible Daten, wie Namen oder Bilder, eher veröffentlicht. Investigativen Journalismus finde er in Ordnung, denn darin liege auch ein Sinn der Pressefreiheit. Gerade Günter Wallraff habe mit seinem Vorgehen seit den 60-iger Jahren viel zur Weiterentwicklung des Presserechts beigetragen. Da RA Prof. Hoecker viel mit Prominenten zu tun habe, könne er über Vorabanfragen der Journalisten und Hintergrundgespräche erreichen, dass beispielsweise die Namen nicht genannt würden. Am schwierigsten sei es, mit der "Verdachtsberichterstattung" umzugehen. Es müssten auch entlastende Argumente mitgeteilt werden. Es gäbe nur wenige entsprechend qualifizierte Gerichte in Deutschland. Seiner Meinung nach hätten die Satiriker im Falle Weidel die Grenzen überschritten. Auch für Personen wie Frau Weidel bestehe ein Persönlichkeitsschutz. Sehr aufwändig sei es, gegen amerikanische Unternehmen, wie Facebook, vorzugehen. Zustellungen würden lange dauern. Die Zwangsvollstreckung von einstweiligen Verfügungen sei schwierig. Auch gebe es dort das Prinzip der Kostenerstattung nicht so wie in Deutschland. Den Pressekodex des Presserats halte er für einen zahnlosen Tiger. Die BILD-Zeitung würde sich beispielsweise oft nicht daran halten. Es solle keinen "Nanny-Journalismus" geben, der suggeriere, die Leser seien zu blöd, mit der Wahrheit umzugehen. Gewisse Umstände würden verschwiegen, damit keine Vorurteile geschürt würden. Er halte dies für skandalös. Die neuen Medien seien hier wertvoll. Da gäbe es keine Wahrheitsunterdrückung mehr. Er schlage vor, sich einfach an die Rechtsprechung zu halten. Allenfalls könne man ein Kompendium zur Rechtslage herausgeben. Er sehe die Presse nicht als "Vierte Gewalt". Die Presse solle lediglich Tatsachen sammeln und könne sie bewerten. Bei der Pressefreiheit handele es sich nur um ein "Branchengrundrecht". Die Presse nehme sich selbst zu wichtig. Es gebe nur drei Gewalten (Legislative, Exekutive und Judikative). Die Aufgabe der Presse sei, das Hirn der Konsumenten zu beeinflussen, nicht aber die äußere/reale Welt. Wenn Justizangehörige mit der Presse sprechen, bestehe auch ein Quellenschutz. Die Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot bestehe, sei strittig. 

Frau Bilger sagte, es komme dabei auch auf die "Fallhöhe" an. Der Wettermoderator Kachelmann habe sich selbst bewusst ins Bild der Öffentlichkeit gestellt. Bei "Normalbürgern", wie etwa einem Familiendrama, müssten die Namen der Beteiligten viel mehr geschützt werden. Im Zweifel kläre sie es vorab mit ihrem Anwalt ab. Dennoch wolle sie sich nichts verbieten lassen. Wenn sie mit den Beteiligten vernünftig rede, würde sie weitere Informationen bekommen, dafür aber auch gewisse Dinge verschweigen. Bei der Frage, ob die Herkunft eines Täters genannt werden solle, komme es auf die Tatrelevanz an. Der Pressekodex sei noch immer in der Diskussion. Bei der Verdachtsberichterstattung müsse darauf geachtet werden, dass nicht ganze Gruppen diskreditiert würden. Sie sehe die Entwicklung bei den Medien derzeit als gar nicht so schlecht an. Seit der Präsidentschaft von Donald Trump sei der gute Journalismus in den USA erstarkt.

Richter Fridrich erläuterte, die Justiz habe einen anderen Blickwinkel. Sie ermittele lediglich, ob jemand beispielsweise am Tod einer Person eine Schuld trage. Er halte es für wichtig, professionell vorzugehen. Deswegen würden die Mediensprecher der Justiz entsprechend fortgebildet. Die Nationalität eines Täters werde bei Haftfällen eher genannt, da hier schon mehrere Prüfungen der Schuldfrage stattgefunden hätten. Die Staatsanwaltschaft treffe im Übrigen eine Einzelfallabwägung, z. B. bei Ehrenmorden. Maßgeblich seien die Gesetze. Der Pressekodex könne hier als Abwägungshilfe dienen. 

Prof. Grimm meinte, die sog. "Vierte Gewalt" erodiere, weil heutzutage die Leser und Nutzer der Medien ihrerseits durch Blogs u. ä. informieren würden. Es gäbe auch computergesteuerte Meldungen. Die Leser könnten qualifizierte Nachrichten nicht mehr erkennen. Man müsse unbedingt die Medienkompetenzen der Bürger schulen. Sie befürchte Gefahren für eine funktionierende Demokratie, weil man keinen Diskurs mehr miteinander führen könne. Die Leute befänden sich nicht mehr auf der gleichen Ebene. Sie wünsche sich einen konstruktiven Journalismus. Es solle nicht nur Negatives berichtet werden. Besser sei es, nach der Schilderung eines Problems auch gleich Lösungsmöglichkeiten anzubieten. Die Medienberichte müssten vielfältig und handwerklich gut gemacht sein. Ereignisse sollten in Kontexte eingebunden werden. Den Pressekodex halte sie als eine Form der Selbstverpflichtung für wichtig. Sie sehe es als Aufgabe der Medien, keine Vorurteile zu schüren. Die Sichtweise von RA Prof. Hoecker halte sie für naiv. Die Zivilgesellschaft brauche den Journalismus. Um dies zu erkennen, müsse man nur die aktuellen Entwicklungen in der Türkei verfolgen. Diktatoren würden die Pressefreiheit einschränken. Auch könne man richtungsbezogen schreiben.

Von den zuhörenden Gästen wurde u. a. gefragt, wie vertrauliche Informationen überhaupt in die Medien gelangten. Die Antworten lauteten von Schmiergeldzahlungen über Hackerangriffe bis hin zum Wichtigmachenwollen einzelner Personen.

Nach einer sehr spannenden Debatte mit recht konträren Standpunkten der Experten und Gäste schloss Herr Saunders sie mit dem Satz, dass die "Presse im Diskurs der Gesellschaft" für ihn ein gutes Bild darstelle. Die Teilnehmer hatten danach Gelegenheit zum Gedankenaustausch in geselliger Runde.

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