Logo des Deutschen AnwaltVerein
AnwaltsVerband Baden-Württemberg
im Deutschen AnwaltVerein e.V.
Darstellung der drei Löwen des Baden-Württembergischen Wappens

Parlamentarischer Abend 2018

Am 10. Oktober 2018 richtete der Anwaltsverband BW seinen 10. Parlamentarischen Abend in Stuttgart aus. Er konnte einen neuen Teilnehmerrekord verzeichnen. Mehr als 90 Gäste waren der Einladung gefolgt. Nach den Begrüßungsworten des Präsidenten des Anwaltsverbandes RA Prof. Dr. Peter Kothe überbrachte der Minister für Justiz und Europa BW Guido Wolf sein Grußwort. Anschließend sprachen die 5 rechtspolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen BW RA Jürgen Filius MdL (Bündnis90/Die Grünen), Dr. Bernhard Lasotta MdL (CDU), Rüdiger Klos MdL (AFD), RA Sascha Binder MdL (SPD) und RA Nico Weinmann (FDP/DVP). Die Vorstände der 25 örtlichen Anwaltsvereine, die Präsidenten der Rechtsanwaltskammern BW, des Anwaltsgerichtshofs, der Notarkammer, die Vertreter von Justiz und Staatsanwaltschaft, des Landesamts für Verfassungsschutz sowie zahlreicher weiterer justiznaher und rechtspolitisch interessierter Berufsorganisationen konnten mit den anwesenden 15 Landtagsabgeordneten aller Fraktionen und deren parlamentarischen Berater ins Gespräch kommen.

Seite drucken

Den Rechtsstaat verteidigen


Der Verbandspräsident Prof. Kothe forderte im Hinblick auf den kommenden elektronischen Rechtsverkehr (ERV), dass die digitale Infrastruktur überall in Baden-Württemberg entsprechend verbessert werden müsse. Auch in Innenstadtgebieten gebe es noch eine zu schwache Breitbandversorgung. Die Verhandlungssäle in den Gerichten müssten den Anwälten ein Arbeiten mit ihrer mitgebrachten digitalen Akte ermöglichen. Dazu müssten ein entsprechend gesichertes W-LAN und genügend Stromanschlüsse vorhanden sein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe bereits entschieden, dass Anwälte als Organ der Rechtspflege mit den Justizvertretern auf Augenhöhe verhandeln können müssen.

Kothe wies auf eine erneut erforderliche Anhebung der Gebühren im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) hin. Die letzte Erhöhung sei im Jahr 2013 erfolgt. Die Inflation sei aber inzwischen fortgeschritten, so dass ein baldiger Ausgleich hier angemessen und erforderlich sei. Das Justizministerium solle nicht damit argumentieren, dass der Justizhaushalt so angespannt und deswegen dann auch eine Erhöhung der Gerichtskosten geboten sei. Der Justizhaushalt werde vor allem durch die Kosten des Strafvollzugs belastet. Leistungen der Beratungshilfe, der Verfahrens- und Prozesskostenhilfe würden eigentlich zum Sozialhilfebereich zählen. Die Gerichtskosten seien bereits so hoch, dass sie den Bürger vom Prozessieren abschrecken.

Den Schwerpunkt seiner Rede legte Prof. Kothe darauf, dass er sich Sorgen um den demokratischen Rechtsstaat mache. In der Nachwendezeit habe die Bürgerrechtlerin Bärbel Boley gesagt, "die DDR-Bürger hätten Gerechtigkeit gewollt, aber den Rechtsstaat bekommen". Dieser müsse verteidigt werden. Der Rechtsstaat beruhe nicht nur auf der Art der Gesetze oder der Arbeit von Rechtsanwälten, sondern vor allem auf dem Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat.

Bei der Amtseinführung des neuen Präsidenten des Verwaltungsgerichts Stuttgart Ende Juli 2018 habe der Regierungspräsident Reimer des Regierungspräsidiums Stuttgart zugesichert, dass "sich seine Behörde an die Gerichtsentscheidungen halten würde". Prof. Kothe meinte, dass dies im Rechtsstaat doch eine Selbstverständlichkeit sein müsse und solche Entscheidungen dann aber auch umgesetzt werden müssten. Gerichtsurteile seien gerade nicht als unverbindliche Angebote zu verstehen.

Kothe erinnerte daran, dass die Stadt Wetzlar im März 2018 ihre Stadthalle nicht für eine Wahlkampfveranstaltung an die NPD vermieten wollte, obwohl das Verwaltungsgericht Wetzlar und das Bundesverfassungsgericht anders entschieden hätten.

Ein ordnungsgemäß eingesetzter Richter, der seine Entscheidungen mit der gebotenen Unabhängigkeit und Sorgfalt fälle, sollte sich von Landtagsabgeordneten nicht nachsagen lassen müssen, "er lebe Allmachtsfantasien" aus (so aber der FDP-Abgeordnete Dr. Rühlke über den Stuttgarter Verwaltungsrichter Kern im Juli 2018 angesichts der kommunalen Dieselfahrverbote).

Kothe erinnerte, dass Rechtsanwälte Gesetze anwenden, sie aber nicht machen würden. Gesetze sollten auch nicht derart zu sprachlichen Meisterwerken verkommen, dass sie sich nicht mehr durch einfaches Lesen erschließen würden. 

Bedenklich finde Kothe auch die Äußerung des Innenministers von NRW Herbert Reul nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts im Fall Sami A, dass seine Rückholung aus Tunesien verlangte. Reul sagte "Die Unabhängigkeit von Gerichten sei zwar ein hohes Gut. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen". Das "Rechtsempfinden" dürfe gerade kein Kriterium für eine Gerichtsentscheidung sein, sondern "die Gesetze".

Es könne laut Kothe nicht angehen, dass Minderheiten für die Mehrheit der Bevölkerung sprächen.

Rechtsanwälte sollten sich von Bundestagsabgeordneten, wie Herrn Dobrindt, nicht vorwerfen lassen müssen, sie seien Teil einer "Anti-Abschiebe-Industrie" und "der Rechtsstaat verkomme zu einem Rechtsmittelstaat". Jedermann habe das Recht, sich im vorgegebenen Rahmen gegen für ihn nachteilige Entscheidungen zur Wehr zu setzen, egal, ob es nun das Baurecht oder das Asylrecht betreffe. Gerade das mache den Rechtsstaat aus und darauf basiere das Vertrauen in den Rechtsstaat. 

Dazu trage es nicht bei, wenn es der katholischen Kirche nach dem Missbrauchsbericht über die Zeit von 1946 bis 2014 im September 2018 ermöglicht werde, die Akten unter Verschluss zu halten. Dabei seien ca. 3.700 Kinder und 1.600 Täter betroffen. Andernorts würden aktuell Kämpfer gegen sexuellen Missbrauch den Friedensnobelpreis bekommen und in Deutschland meine die Bundesjustizministerin Barley, man werde in Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehören schon noch eine Lösung finden. Bekanntermaßen seien solche im Raum stehenden Straftaten aber Offizialdelikte und müssten staatlicherseits konsequent verfolgt werden.

Kothe mahnte, den Populisten nicht das Feld zu überlassen, sondern den Rechtsstaat zu verteidigen.

Der Justizminister Wolf stimmte dem weitgehend zu und erinnerte daran, dass er auch für Europa zuständig sei. Der Rechtsstaat der BRD stehe vergleichsweise nicht schlecht da. Andere Länder, wie Rumänien, Ungarn, Polen oder Italien, würden eher Rückschritte machen. Neutralität und Objektivität der Justiz seien gut und man dürfe keine Erosion des Rechtsstaats dulden. Er müsse mit den notwendigen Mitteln unterstützt werden. 

Beim elektronischen Rechtsverkehr sei Baden-Württemberg an der Speerspitze. Die ordentliche Gerichtsbarkeit bis zum Bundesgerichtshof (BGH) sowie alle Fachgerichtsbarkeiten, insbesondere die Arbeitsgerichtsbarkeit, seien angeschlossen.

Mit Blick auf das sich ausbreitende Legal Tech müsse gefragt werden, ob tatsächlich eine bessere Wahrheitsfindung stattfinde und wie der Instanzenzug eigentlich aussehen solle, ob dann etwa eine bessere Software eingesetzt werde? Legal Tech ermögliche die Vereinfachung von Verfahren und mehr Effektivität. Dennoch sei der Einsatz von Menschen hier grundsätzlich erforderlich.

Er schloß mit den Worten, dass eine gute Justiz gute Anwälte benötige.

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, RA Filius MdL, verwies auf den Grundsatz der Gewaltenteilung. Parlamente könnten Gesetze ändern. Erlassene Gesetze seien dann aber von der Exekutive und der Justiz zu beachten.

Seit 2011 sei man dabei, die Justiz in BW zu stärken. In 2017 hätten die Staatsanwaltschaften 40 zusätzliche Stellen bekommen und die Gerichte 34. Für den Nachtragshaushalt 2018/2019 seien noch einmal 91 Stellen für Stastsanwälte und Richter vorgesehen. 24 davon gehen an die Verwaltungsgerichte zur Bewältigung der Asylverfahren.

Als Konsequenz aus dem tragischen Mißbrauchsfall von Staufen wolle man die Qualifikation der Familiengerichte verbessern. Der Fall habe eine entsprechende Erwartungshaltung in der Bevölkerung verursacht.

Abschließend warb Filius für eine Veranstaltung des Vereins "Recht Grün" am nächsten Tag zum Thema "Legal Tech". Große Softwareunternehmen würden an der künstlichen Intelligenz arbeiten. Dabei müsse die Menschlichkeit aber beibehalten werden.

Dr. Lassotta MdL, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, überbrachte die Grüße des Fraktionsvorsitzenden Prof. Reinhart und dankte dem Anwaltsverband für seine Stellungnahmen zu den Gesetzgebungsvorhaben. Auch er stelle sich die Frage wie künstliche Intelligenz und Recht zusammenpassen könnten. Jedenfalls müsse man für eine funktionierende Justiz den finanziellen Rahmen und weitere Stellen bei den Richtern, Staatsanwälten und im Strafvollzug schaffen. Andernfalls sei der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet. Man wolle die Stiftung "Opferschutz" besser ausstatten. Angriffe auf den Rechtsstaat müsse man aushalten können, aber der Rechtsstaat müsse auch darauf reagieren. In Anspielung auf die eingangs erwähnten Äußerungen des NRW-Innenministers Reul zum "Volksempfinden" meinte Dr. Lasotta, man täte viel besser daran, den "Stammtischen" zu erklären, warum der Rechtsstaat im Fall Sami A. so entschieden habe.

Er verurteilte auch die von der AFD ins Leben gerufene Lehrer-App in Hamburg, mit der Schüler nachteilige Äußerungen über die AFD im Unterricht, anzeigen könnten. Dies erinnere ihn auch an die Maßnahmen des türkischen Präsidenten Erdogan, der die vermeintlichen Gülen-Anhänger angezeigt wissen wollte. Man müsse die Grundwerte des Grundgesetzes und des Rechtsstaats verteidigen. Wenn man nach Osteuropa und Polen blicke, bekomme man Angst, dass die Parlamente kippen und damit auch der Rechtsstaat.

Dr. Lasotta wolle sich für mehr Rechtskundeunterricht in den Schulen einsetzen. In den Oberstufen wurde bereits der Bildungsplan geändert, um Rechtskundeunterricht zu ermöglichen. Dabei sollten den Schülern und Lehrern die demokratischen und rechtsstaatlichen Prizipien erläutert werden. Er bat den Anwaltsverband, Listen mit Kollegen, die sich für solchen Schulunterricht engagieren würden, dem Kultusministerium zur Verfügung zu stellen. 

Herr Klos MdL, rechtspolitischer Sprecher der AFD-Fraktion, meinte, zum Rechtsstaat gehörten sowohl die Freiheit als auch die Bindung. Rechtsanwälte seien Garanten für Bürgerrechte. Sie gehörten zu den Freien Berufen und unterlägen damit nicht der Obrigkeit. Sie seien Organe der Rechtspflege, Mitglieder in selbstverwalteten Rechtsanwaltskammern und berufständischen Versorgungswerken. Gute Beratung solle ihr Geld wert sein. Er trete deswegen für eine auskömmliche Vergütung der Rechtsanwälte ein. Das Besondere elektronische Anwaltspostfach (BeA) sei mit Kosten verbunden. Es dürfe nicht passieren, dass die Advokatur fremdbestimmt werde. Rechtsanwälte und Steuerberater unterlägen besonderen beruflichen Pflichten, wie der Verschwiegenheit. Man müsse ihr geistiges Eigentum schützen. Das Beratungsgeheimnis müsse gewahrt werden. Die Rechtsanwaltskammern müssten darauf achten, wofür sie die Mitgliedsbeiträge verwenden. Er habe z. B. wenig Verständnis für die "Gender-Ideologie" der Berliner Rechtsanwaltskammer. 

Abschließend erinnerte er an den sog. Beutelsbacher Konsens. Darin sei - zusammen mit der Landeszentrale für politische Bildung BW - im Herbst 1976 festgelegt worden, dass Lehrer Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen dürften. Man wolle kritische und freie Geister bei den Kindern.

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, RA Binder MdL, erwähnte, dass der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle sich angesichts der aktuellen Entwicklungen im Rechtsstaat zu einem Gastkommentar in der "Zeit" veranlasst gesehen habe. Binder kritisierte, dass die Landesinnenminister oft nach dem Motto "Der Zweck heiligt die Mittel" agieren würden. Man müsse die Justiz personell gut ausstatten und die Gewaltenteilung beachten. Aufgrund der Stellungnahmen des Anwaltsverbandes zum Polizeigesetz BW im zurückliegenden Jahr habe man das Innenministerium BW noch zu Änderungen bewegen können.

Herr Weinmann, rechtspolitischer Sprecher der FDP/DVP-Landtagsfraktion, erinnerte an den 10.10.1847 als sich 18 süddeutsche liberal-bürgerliche Abgeordnete in Heppenheim an der Bergstraße für den deutschen Nationalstaat eingesetzt haben. Es ging dabei auch um Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Das sollte auch noch 100 Jahre später Bestand haben.

Er lud zum Liberalen Rechtstag am 13.10.2018 im Landtag BW ein. Dort solle es um Legal Tech gehen. Er wünsche sich, dass mehr Antisemitismusbeauftragte in die Schulen gehen könnten und forderte ebenso dazu auf, den Rechtstaat zu verteidigen.






AnwaltsVerband Baden-Württemberg im Deutschen Anwaltverein e.V., Olgastraße 35, 70182 Stuttgart,
Telefon 0711 23 65 963, Telefax 0711 23 69 374, info@av-bw.de, www.av-bw.de