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AnwaltsVerband Baden-Württemberg
im Deutschen AnwaltVerein e.V.
Darstellung der drei Löwen des Baden-Württembergischen Wappens

Parlamentarischer Abend 2017

Am 11. Oktober 2017 richtete der Anwaltsverband Baden-Württemberg seinen neunten Parlamentarischen Abend in Stuttgart aus. Mit mehr als 80 Gästen, darunter 20 Landtagsabgeordneten, konnte er erfreulicherweise einen neuen Teilnehmerrekord verzeichnen.

RA Prof. Dr. Kothe, Präsident des Anwaltsverbandes, bei seinen Begrüßungsworten
RA Jürgen Filius MdL, Vorsitzender des Arbeitskreises "Recht & Verfassung" der Landtagsfraktion Bündnis90/Die Grünen
Dr. Bernhard Lasotta MdL, Vorsitzender des Arbeitskreises "Recht & Verfassung" der CDU-Landtagsfraktion
Rüdiger Klos MdL, rechtpolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion
RA Sascha Binder, stv. Fraktionsvorsitzender und rechtspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion
RA Nico Weinmann, rechtspolitischer Sprecher der FDP/DVP-Landtagsfraktion
Ministerialdirigent Elmar Steinbacher, Ministerium für Justiz und Europa BW
MInisterialdirigent Julian Würtenberger, MInisterium für Inneres, Digitalisierung und Migration

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Der Präsident des Anwaltsverbandes, RA Prof. Dr. Peter Kothe, begrüßte zunächst die Gäste. Neben zahlreichen Landtagsabgeordneten aller Fraktionen und ihren jeweiligen parlamentarischen Beratern waren auch Vertreter der Rechtsanwaltskammern, hochrangige Vertreter der Justiz, der Notare, Freien Berufe, rechtspolitisch engagierter Juristenorganisationen, des Versorgungswerks sowie einige Nachwuchsanwälte der Einladung der Anwaltsvereine gefolgt.

Präsident Kothe sprach in seiner Begrüßung die aktuelle Landtagsdebatte um die sog. Antiterrorgesetzgebung (neue Regelungen im Landespolizeigesetz und Landesverfassungsschutzgesetz) an. Die Neuerungen, wie die Einführung des Begriffs "Gefährder", das Verwenden von "elektronischen Fußfesseln", von Sprengmitteln nicht nur als "Hilfsmittel", sondern als "Waffen" und der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (sog. "Staatstrojaner"), seien vor allem am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Grundrechten zu messen.

Er forderte mit Blick auf die kommende passive Nutzungspflicht für Rechtsanwälte beim Besonderen elektronischen Anwaltspostfach (BeA) ab 1.01.2018 einen verstärkten landesweiten Breitbandausbau in Baden-Württemberg. Die erforderliche Upload-Geschwindigkeit von 2-3 MBits/s müsste überall erreicht werden.

Kothe befürwortete, dass der Landeshaushalt keine Einsparungen im Justizressort vorsehe, mahnte aber an, dass der vom Personalbedarfsberechnungssystem (PeBBsy) für die Justiz vorgegebene Wert zu 100 Prozent erreicht werde, so wie es im Regierungskoalitionsvertrag von 2017 vereinbart sei.

Gegenwärtig gebe es große Schwierigkeiten bei den Notariaten und Grundbuchämtern aufgrund deren Reform bis zum 1.01.2018. Aber auch die Erreichbarkeit von Gerichtsgeschäftsstellen, Rechtsantragsstellen bei den Gerichten und den Gerichtsvollziehern lasse sehr zu wünschen übrig. Wenn die Bearbeitung eines Kostenfestsetzungsantrags ein Dreivierteljahr dauere, so gehe es nicht nur um das Geld der Rechtsanwälte, sondern auch um das der Bürger, die die vom unterlegenen Gegner zu tragende Gerichtskosten endlich erstattet haben wollen.

So, wie man die intelligente Videoüberwachung als angebliches Signal der staatlichen Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bürgern einführen wolle, gehöre es zu dieser Fürsorgepflicht auch ein funktionierender Rechtsstaat. Die anwesenden Politiker mögen sich dafür einsetzen.

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, RA Jürgen Filius MdL, betonte, dass er gern zu den Parlamentarischen Abenden des Anwaltsverbandes komme und auch dessen Stellungnahmen zu den diversen Gesetzgebbungsvorhaben sehr schätze. Die Ergebnisse aus dem "PeBBsy" seien für ihn die Richtgröße.
Der Breitbandausbau gehe voran. Dies sei der Landesregierung ein großes Anliegen.
Das Neutralitätsgesetz BW, das die Verschleierung während eines Verhandlungstermins im Gerichtsprozess für Richter und Staatsanwälte untersage, sei zwischenzeitlich beschlossen. Es laufen aber noch Gespräche mit dem Schöffenverband, da Schöffen nicht zum Tragen einer Amtstracht verpflichtet seien.

Der rechtspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Dr. Bernhard Lasotta MdL, lobte ebenfalls die hilfreichen Stellungnahmen des Anwaltsverbandes und möchte bis 2021 die "PeBBsy"-Werte erreichen. Die Unabhängigkeit der Justiz müsse gewährleistet sein, da sie die Dritte Gewalt im Staate bilde. Er halte dies für den Zusammenhalt in der Gesellschaft für sehr wichtig. Mit Erschrecken beobachte er die Entwicklungen in Ungarn, der Türkei oder Polen. Auch die aktuellen Ergebnisse der Bundestagswahl seien alarmierend.

Der rechtspolitische Sprecher der AFD-Fraktion im Landtag, Rüdiger Klos MdL, sagte, es dürften im Hinblick auf den elektronischen Rechtsverkehr (ERV) keine für Rechtsanwälte nicht umsetzbare Regelungen erlassen werden. Er habe zum Thema "Industrie 4.0" schon mit der Präsidentin der IHK gesprochen, welche 49 MBit/s für erforderlich erachte. Das Innenministerium habe errechnet, dass man dafür ca. 100 Mrd. Euro investieren müsse. Zum Vergleich führte er an, dass Baden-Württemberg gegenwärtig mit 47 Mrd. Euro verschuldet sei.
Seine Partei und Fraktion wolle, in Anlehnung daran, dass der ehemalige Verfassungsrichter Di Fabio der Kanzlerin massive Rechtsverstöße (u. a. Umgehung des Parlaments) im Umgang mit der Flüchtlingskrise kontastiert habe, für Recht und Gesetz eintreten.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion und deren rechtspolitischer Sprecher, RA Sascha Binder MdL, wolle eine Stärkung des Richtervorbehalts bei Gefahr in Verzug bei den geplanten Neuregelungen im Polizeigesetz BW. Auch müsse eine besondere Sachentschädigung vorgesehen werden.
Bei der Digitalisierung halte er die bisherige, eher kleinteilige, finanzielle Förderung von einzelnen Gemeinden für nicht ausreichend. Besser wäre hier eine groß angelegte Strategie des Landes.
Kritisch betrachte er die Bearbeitung von großen Wirtschaftsstrafsachen bei den Gerichten. Es erwecke beim normalen Bürger den Eindruck, dass man "die Großen laufen lasse".

RA Nico Weinmann MdL, rechtspolitischer Sprecher der DVP/FDP-Landtagsfraktion, erinnerte an die Niederschlagung des sog. Morant Bay Aufstands auf Jamaika ab dem 11.10.1865, der letzlich zu liberaleren Verhältnissen auf der Insel geführt habe.
Er befürwortete die geplante Quellen-Telekommunikationsüberwachung, weil es den Sicherheitsbehörden möglich sein müsse, auf die Kommunikation mittels Messenger-Diensten, wie Whatsapp, zugreifen zu können.
Hinsichtlich des ebenfalls in dem Gesetzesvorpaket beabsichtigten Alkoholkonsumverbots an bestimmten lokalen Brennpunkten gab er zu bedenken, dass eine erhöhte Polizeipräsenz bei alkoholisierten Personen agressionserhöhend sei, aber man auch Polizisten brauche, um die Einhaltung des Alkoholkonsumverbots zu kontrollieren.

Der Ministerialdirigent des Ministeriums für Justiz und Europa BW, Elmar Steinbacher, überbrachte die Grüße des Justizministers Guido Wolf. Man arbeite an der Funktionsfähigkeit der Justiz. Der Finanzausschuss des Landtags habe Stellen bewilligt. Probleme gebe es in der Tat gerade bei den Grundbuchämtern. Die benötigten Rechtspfleger befänden sich noch in der dreijährigen Ausbildung. Im Haushalt von 2018/2019 seien 400 Wachtmeisterstellen vorgesehen. Die Situation an den Verwaltungsgerichten habe zu einem Stillstand der Rechtspflege geführt. 2017 seien 27.000 Verfahren offen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe schlechte Vorarbeiten geleistet. Die Gerichte müssten die Sachverhalte erst mühsam aufarbeiten. Zum einen seien dort neue Stellen geschaffen worden, zum anderen hätten sich Kollegen von den Sozialgerichten an die Verwaltungsgerichte abordnen lassen. Man wolle dafür Sorge tragen, dass andere Verfahren, etwa betreffend Baugenehmigungen oder Fahrerlaubnisse, nicht wegen der Flut von Asyl- und Flüchtlingsverfahren zurückstehen müssten.

Beim elektronischern Rechtsverkehr (ERV) liege man gut im Zeitplan. In der Justizstaatssekretärskonferenz habe er erfahren, dass kein Bundesland von der sog. Opt-out-Klausel Gebrauch machen wolle. Nach seinem Wissensstand würden die Anbieter von Anwaltssoftware ihre Programme bis zum 4. Quartal 2017 umstellen. Ein Gewinn dabei sei die Einsparung von Porto-Kosten. Unternehmen und Versicherungen würden schon seit 15 Jahren mit rein elektronischen Akten arbeiten. Deswegen würen es die Justiz und Rechtsanwälte auch schaffen. Ein weiterer Vorteil sei die bessere Akteneinsichtsmöglichkeit, taggenau und von mehreren Beteiligten gleichzeitig.
Das Ministerium habe einen Gesetzentwurf zur Änderung der starren Altersgrenze von 45 Jahren beim Versorgungswerk der Anwaltschaft vorgelegt. Er erwarte hierzu die Stellungnahme des Anwaltsverbandes.

Der Ministerialdirigent des Ministeriums für Inneres Digitalisierung und Migration BW, Julian Würtenberger, verriet das Geheimnis, dass er seit 1991 in der Juristenausbildung als Klausurkorrektor aktiv gewesen sei.
Er bezog sich auf die erste Lesung der Neufassungen des Polizei- und Verfassungsschutzgesetzes im Landtag am 11.10.2017 und beurteilte die dazugehörige Stellungnahme des Anwaltsverbandes zwar als gut, hielt sie aber im Ergebnis für nicht ganz richtig. Die Gefahrenabwehr sei eine der wenigen Kompetenzen, die den Ländern nach der Förderalismusreform noch geblieben sei. Der Gefahrenbegriff im Polizeirecht sei möglicherweise nicht mehr zeitgemäß. Zwar räumte er eine geringe Wahrscheinlichkeit für Terrorangriffe ein, aber wenn sie einträten, seien sie doch verheerend. Diese sei eine eher neue Erscheinung. Er möchte die staatlichen Schutzansprüche der Bürger wahren.

Für die Digitalisierung Baden-Württembergs seien 100 Mio. Euro vorgesehen. Im Haushalt 2018/2019 habe man das gleiche Niveau vorgesehen. Der Staat werde dort eingreifen, wo der Markt versage. Es gäbe Regionen mit weniger als 2 MBit/s Download-Geschwindigkeit. Der Haushaltsgesetzgeber habe die E-Akte in der Verwaltung vorgesehen. Derzeit laufe das Ausschreibungsverfahren. Es gehe um eine E-Akte in allen Verwaltungsbereichen. Es solle keine Medienbrüche mehr geben, z. B. durch den Ausdruck von pdf-Dateien. Man wolle das Schriftformerfordernis weitestgehend ersetzen.

Abschließend wies der Verbandspräsident Kothe auf das beabsichtigte Evaluationsverfahren beim E-Government hin. Er verdeutlichte, dass speziell für Rechtsanwälte das Problem bestehe, dass vollstreckungsfähige Titel, wie Urteile oder Vergleiche, 30 Jahre lang vollstreckbar seien, aber niemand derzeit mit Sicherheit sagen könne, welche Speichermedien dafür geeignet seien.

Im Anschluss an die Redebeiträge hatten die Gäste Gelegenheit, bei Speis und Trank miteinander ins Gespräch zu kommen. Davon wurde rege Gebrauch gemacht. 


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