26. Juni 2024 DJT-Vorfeld-Veranstaltung "Zugang zum Recht"

Vernetzung

Der 74. Deutsche Juristentag (DJT) wird sich in der Zeit vom 25. bis 27. September 2024 mit der effektiven Rechtsdurchsetzung im Zivilrecht beschäftigen.

 

Der Anwaltsverband BW führte deswegen am 26. Juni 2024 eine Vorfeldveranstaltung zum "Zugang zum Recht" in Kooperation mit dem DJT e. V., der Dualen Hochschule BW in Stuttgart und dem Deutschen Richterbund BW (DRB BW) durch.

Sie begann mit einem stimmungsvollen Auftritt des 30-stimmigen Chors der DHBW unter der Leitung von Herrn Holger Heimsch. CHORMÄLEON – Chor der DHBW Stuttgart e. V.

Danach begrüßte Frau Prof. Dr. Beate Sieger-Hanus, Rektorin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Stuttgart, die Gäste aus der Justiz, der Anwaltschaft, von den Landesministerien, justiznaher Berufsorganisationen, Studenten und interessierte Bürger. Sie stellte die Entwicklung der letzten 50 Jahre und regionale Struktur der Hochschule kurz vor und beschrieb die möglichen Studiengänge aus den Bereichen Wirtschaft, Technik und Gesundheitswesen. Sie kam auch auf die Weiterbildungsangebote sowie anwendungsorientierte Forschung zu sprechen. Der heutige Veranstaltungsort "Neubau Technik" sei ein Muster der Architektur und Nachhaltigkeit, etwa durch eine große PV-Anlage auf dem Dach.

Konkret stellte anschließend Herr Prof. Dr. Tobias Scheel, Studiengangsleiter im Studiengang "Rechnungswesen Steuern Wirtschaftsrecht" (RSW) und Professor für Wirtschaftsrecht, diesen Studiengang sowie dessen Entwicklung vor. Er zeigte auf, wie dessen Absolventen ebenfalls einen wertvollen Beitrag zum "Zugang zum Recht" leisten könnten, etwa durch Wissensmanagement oder an Schnittstellen zum Steuerrecht.

RA Prof. Dr. Peter Kothe, Präsident des Anwaltsverbandes Baden-Württemberg im Deutschen Anwaltverein e. V., rundete den Eröffnungsteil mit der Vorstellung des Anwaltsverbandes BW ab und wies darauf hin, dass der Zugang zum Recht zu einem ganz wesentlichen Teil durch die Rechtsanwälte ermöglicht werde. Dabei sei Digitalisierung nicht das Allheilmittel, sondern es gehe um Entscheidungen von Menschen über Menschen. Der Deutsche Anwaltstag 2024 (DAT), der kürzlich in Bielefeld stattfand, habe klar gezeigt, dass die Betroffenen sich einen verbesserten Zugang zum Recht durch gute physische Erreichbarkeit, wie kurze Wege und bürgerfreundliche Öffnungs- und Telefonzeiten, Freundlichkeit und Dienstleistungsmentalität, wünschen würden.

Daran schloß sich eine Podiumsdiskussion unter Leitung des Vors. Richter am Oberlandesgericht Herrn Wulf Schindler, auch Vorsitzender des Verbandes der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Baden-Württemberg e. V. (DRB BW) an. Es diskutierten:

- die Ministerialdirigentin Dr. Beate Linkenheil, Leiterin der Abteilung I, Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg
- Hans-Peter Rumler, Präsident des Landgerichts Stuttgart
- Cornelia Tausch, Vorständin der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg
- Rechtsanwalt Dr. Fabian Widder aus Mannheim, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins e. V. (dort auch Vorsitzender des Ausschusses Rechtsdienstleistungsgesetz - RDG) sowie Vorstandsvorsitzender des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg.

Zu Beginn bat Herr VRiOLG Schindler Frau Tausch zu berichten, welche Aspekte sie beim „Zugang zum Recht“ beschäftigen. Sie sagte, dass es dabei um Verbraucherrecht gehe von A, wie Altersvorsorge, über N, wie Nahrungsmittel, bis Z, wie Zahnzusatzversicherung. Die Verbraucher bräuchten Unterstützung, weil ihnen oft die Bildung und Sprachkenntnisse fehlten. Nicht alle Bürger hätten einen digitalen Zugang. Das behindere den Zugang zum Recht und nicht überall gebe es Beratungsstellen. Sie plädiere deswegen für viele Zugangswege.

Der Verbraucherschutz sei aber auch bei sog. rationalem Desinteresse wichtig. Natürlich würde ein Einzelner sich nicht wegen unberechtigter 10 Euro zur Wehr setzen. Wenn Unternehmen aber mit einer Vielzahl von solchen Fällen kalkulieren würden, könnten sie das ausnutzen und enorme Gewinne erzielen. Deswegen sei die „Abhilfeklage“ als zivilrechtliche Verbandsklage gegen Unternehmer – neben dem kollektiven Rechtsschutz - so wichtig (Verbandsklagen-Richtlinien-Umsetzungsgesetz von 2023). Hindernisse seien aber auch hier fehlende Kapazitäten, die Finanzierung und lange Verfahrensdauern bei den Gerichten.

RA Dr. Widder stellte zu Beginn seines Statements die Frage, wie Rechtsstaat gelinge. Die Angebote des Staates müssten niederschwellig sein. Nur dann würden die Bürger dies akzeptieren. Örtliche Amtsgerichte sollten deswegen nicht geschlossen werden. Die Gebühren für Anwälte nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) müssten attraktiv bleiben. Rechtsanwälte müssten zukünftig mehr KI einsetzen, um Kleinverfahren bündeln zu können. Das Problem bestehe aber „in der Fläche“. Gemeinden sollten deswegen Sprechtage einführen. Den Rechtsanwälten müsste es erleichtert werden, sich in Einheiten zusammenzuschließen, in denen sie z. B. Bürokosten teilen könnten. Er befürworte eine sichere „digitale Identität“ des Bürgers (nicht nur über E-Mail). Der Staat müsse Bedingungen schaffen, damit Rechtsanwälte gut arbeiten könnten Andernfalls drohe, dass Legal Tech Unternehmen in nicht immer vorteilhafter Weise erstarken, indem sie z. B. hohe Provisionen einbehalten würden und Inkasso-Dienstleister an den Rand des nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) Zulässigen gehen.

MRin Dr. Linkenheil sagte, das Ministerium der Justiz und für Europa BW wolle das Recht und die Justiz zugänglicher machen. Deswegen führe es gerade das Projekt „zukunftsgerichtet“ durch. Das Problem sei, das der Landeshaushalt nicht viel Geld vorsehe. Für schnelle Gerichtsverfahren brauche es mehr Personal. Es würden derzeit auch KI-Tools , wie JANO, OLGA oder Codefy/Astra, entwickelt. Der Mensch solle aber, etwa bei Abwägungsprozessen, entscheiden.

Der Landgerichtspräsident Rumler führte hinsichtlich des Zugangs zum Recht aus, dass es in Baden-Württemberg 108 Amtsgerichte gebe. Ein kleines im hohenlohischen Langenburg verfüge nur über eine 0,75 Richterstelle. Die restlichen 0,25 würde der Richter an einem anderen Amtsgericht arbeiten. Das AG Langenburg habe deswegen kein Nachlassgericht, kein Familiengericht, kein Insolvenz- und Zwangsversteigerungsgericht sowie kein Grundbuchamt. Es stelle sich also die Frage nach dem physischen Zugang. Zudem sei die Richtervergütung nicht so gut. Der Deutsche Richterbund solle sich deswegen für mehr Personal und bessere Vergütung einsetzen. Bei einer zentralen gerichtlichen Rechtsantragsstelle müsse man mit 2-4 Stunden Wartezeit rechnen. Aber auch gerichtliche Formulare, wie eine Zeugenladung oder ein Mahnbescheidsantrag, seien viel zu kompliziert.

Herr VRiOLG Schindler fragte bei Frau Tausch nach, wie sie hinsichtlich von Verbandsklagen, Abhilfeklagen oder Musterfeststellungsklagen die Handlungsfelder ermitteln würde. Er erinnerte dabei an das „Diesel-Verfahren“ der Deutschen Umwelthilfe (DUH) vorm Verwaltungsgericht Stuttgart in 2017 oder die vom Verband "Sozialer Wettbewerb" erstrittene BGH-Entscheidung von 2018 zum „bekömmlichen Bier“.

Frau Tausch erwiderte darauf, dass solche Verfahren einerseits durch Bürger in Gang kommen, die lediglich Hinweise an die Verbraucherzentrale geben würden. Zum anderen spiele aber auch die tägliche Beratungspraxis eine Rolle. Wenn sich abzeichne, dass eine Rechtsfortentwicklung notwendig sei oder eine Marktbereinigung stattfinde, gehe es darum, bestimmtes schädliches Unternehmerverhalten zu unterbinden, z. B. bei schädlichen Nahrungsergänzungsmitteln. Dabei erinnerte sie an die erfolgreiche Verbandsklage der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg gegen die Sparkasse Günzburg-Krumbach (BGH, Az XI ZR 290/22) wegen rechtswidriger Kostenklauseln bei Riester-Renten-Verträgen.

MRin Dr. Linkenheil sprach die außergerichtliche Beratungshilfe sowie die gerichtliche Verfahrens- und Prozesskostenhilfe (VKH/ PKH) für mittellose Betroffene an. Hier stelle sich die Gerechtigkeitsfrage beim Justizgewährungsanspruch. Im Landeshaushalt seien die dafür vorgesehenen Kosten unter „Auslagen in Rechtssachen“ zu finden. Auch mit Blick auf die Pflichtverteidigung meinte sie, das Land BW sei hier ausreichend aufgestellt.

Die Zuständigkeitsgrenze für Amtsgerichte soll von 5.000 Euro auf 8.000 Euro erhöht werden. Im derzeitigen Koalitionsvertrag von BW sei keine Schließung von Amtsgerichten geplant. Im Hinblick auf zunehmende Sicherheitskosten könne dies aber zukünftig zu anderen politischen Entscheidungen führen.

Als Problem sah sie die komplizierten Gesetze an. Wie solle beispielsweise ein Nichtdeutscher da seine Rechte verstehen? Auch Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe seien derzeit zu kompliziert geregelt. Sie selbst finde das Mahnbescheids-Antragsformular für Zahlungsforderungen viel zu schwer zu verstehen.

Herr VRiOLG Schindler kam darauf zu sprechen, dass Unternehmen die Stunden-Honorare für Großkanzleien von mehr als 250 Euro bezahlen könnten. Die außergerichtliche Beratungsgebühr nach dem BerHG/RVG betrage aber nur 38,50 Euro egal, wie lange der Anwalt für die Beratung brauche. Was wolle die Anwaltschaft da machen?

RA Dr. Widder entgegnete, dass es "die Anwaltschaft" nicht gebe. Manche Kollegen seien beispielsweise nur außergerichtlich beratend tätig und selten bei Gericht. Die örtlichen Anwaltvereine würden Beratungsstellen anbieten. Die Beratungshilfe sei schwierig geregelt. Erst brauche man den Berechtigungsschein vom örtlich zuständigen Amtsgericht. Die Anwaltschaft sei sich dieser Aufgabe bewusst und wolle deswegen auch zum finanziellen Schutz der Bürger die Beibehaltung der RVG-Tabellen (gesetzliche Gebühren).

Sodann kam Herr VRiOLG Schindler auf die telefonische Erreichbarkeit der gerichtlichen Geschäftsstellen sowie barrierefreie Gerichtssäle zu sprechen und fragte, woran die Verbesserung der derzeitigen Zustände scheitere.

Herr Rumler meinte dazu, dass man für die niedrigen Entgeltgruppen in den Telefonzentralen kein geeignetes Personal finde. Zudem gebe es viele Krankheitsausfälle. Die Geschäftsstellen gaben an, dass sie auch noch so viele andere Aufgaben zu erledigen hätten, dass für die Bewältigung der vielen Anrufe schlicht keine Zeit sei. Insbesondere bei den Nachlaßabteilungen, die typische Bürgeranliegen betreuen, wie Testamentseröffnungen, herrsche Personalknappheit. Dabei sei die Stellensituation nicht das Problem, sondern der Fachkräftemangel. Er selbst habe auch die Erfahrung gemacht, dass man für ein typisches Problem mit einem ungünstigen Mobilfunk-Vertrag und eher geringem Streitwert keinen Anwalt mehr finde, der sich der Angelegenheit auskömmlich annehmen könne.

Herr VRiOLG Schindler thematisierte, dass derzeit zwar die Tendenz bestehe, den digitalen Zugang zur Justiz mit formellen Erleichterungen zu lockern, aber die Lebenssachverhalte komplexer würden und ob deswegen doch ein ausgeweiteter Anwaltszwang erforderlich sei. Die Bürger würden ohne anwaltlichen Beistand oft nicht verstehen, welche Anträge und Vorträge sie stellen/halten müssten. Nach eigenen Recherchen aus dem Internet hätten sie nur juristisches Halbwissen.

RA Dr. Widder sah hier die Frage, ob das vom Bürger akzeptiert werden würde. Die Anwälte hätten sicherlich Nichts gegen eine Ausweitung des Anwaltszwangs. Rechtsanwälte würden im Vorfeld Vieles abfangen und Filtern, wie zunächst den relevanten Sachverhalt zu ermitteln und prozessual aufzubereiten. Viele Leute seien alt oder könnten nicht gut schreiben. Die Erfahrungen bei der Arbeitsagentur, wo die Antragsteller ihre Daten an PC-Pools selbst eingeben sollen, zeigen, dass es oft nicht klappe. Digitale Kanäle könnten deswegen nur zusätzlich, aber nicht ersetzend, angeboten werden. Flankierende rechtliche Beratung der Betroffenen sei deswegen erforderlich.

MRin Dr. Linkenheil ergänzte, dass das Phänomen, dass Bürger sich vorab schon über das Internet halbwegs gut informiert hätten, auch im medizinischen Bereich auftauche. Hinzu kämen nun KI-Ergebnisse. Auch im Handel komme es zu mehr Digitalisierung. Die Vergütung der Service-Mitarbeiter könne mit den Löhnen hiesiger Wirtschaftsunternehmen nicht Schritt halten. Es sei deswegen schwer, ausreichend qualifiziertes Personal für die Justiz zu bekommen.

Herr VRiOLG Schindler fragte deswegen Frau Tausch, ob die Verbraucherzentralen entsprechende Vorfeldberatungen anbieten könnten. Sie bestätigte dies und verwies darauf, dass Bürger oft auch ohne einen Anwalt zum Gericht gehen könnten. Die VBZ stelle deswegen entsprechendes Wissen und Musterbriefe auf ihre Webseiten. Zukünftig wolle man hier noch mehr Interaktionsmöglichkeiten schaffen.

Sodann fragte Herr VRiOLG Schindler, ob man auch die Rechtsantragsstellen bei den Gerichten ausbauen sollte. Dazu sagte Herr Rumler, dass die dort tätigen Rechtspfleger keine Klagen formulieren könnten, weil sie neutral bleiben müssten. „Naturparteien“ seien per se nicht unangenehm, würden aber oft in Unkenntnis der Verfahrensvorschriften Schiffbruch erleiden. In einem normalen/üblichen Rechtsstreit könne KI das oft nicht lösen. Er würde lieber einen einfacheren elektronischen Zugang, wie E-Mails, schaffen. Hier stehe aber bisher der Datenschutz im Wege, was viele Bürger nicht verstehen würden. Die derzeitigen Anforderungen an den gesicherten elektronischen Zugang würden sie als Zumutung begreifen.

Aus dem Publikum kam die Frage, was denn der Zugang zum Recht dem Staat wert sei. Die Vergütungen nach dem RVG und JVEG (Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetschern, Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richtern, Zeugen und Dritten) blieben seit Jahren hinter der allgemeinen Lohnentwicklung und Inflation zurück.

MRin Dr. Linkenheil verwies darauf, dass die Ausgaben für Pflichtverteidiger, Sachverständige, Dolmetscher, Zeugen und Betreuer bundesgesetzlich geregelt werden. Es stelle sich die Frage, ob die Vergütung angemessen sei. Ihre private Meinung sei „nein“, aber dienstlich müsse sie beachten, dass es um Steuergelder gehe. Es gehe um Budgets und Ausgaben. Die aktuelle Steuerschätzung von Mai 2024 habe ergeben, dass „die fetten Jahre“ vorbei seien. Bei ihrer Wunschliste ans Finanzministerium müsse sie Priorisierungen vornehmen und das seien derzeit die Gefangenenversorgung und Digitalisierung, wie die Einführung der elektronischen Aktenführung.

Frau Tausch meinte dazu, die Politik würde auf Zeit spielen und auf KI-Lösungen hoffen. Bestimmte Bevölkerungsgruppen, etwa die, die einen Dolmetscher bräuchten, hätten so keinen Zugang zum Recht. Derzeit gebe es nur Förderungen für Gebärden-Dolmetscher.

MRin Dr. Linkenheil ergänzte dazu, dass das Justizministerium BW schon Übersetzungstools entwickele, die aber Dolmetscher nicht ersetzen, sondern nur der Arbeitserleichterung dienen sollen.

Der Geschäftsführer des baden-württembergischen Landesverbands der Rechtspfleger, Herr Spindler, meldete sich zu Wort und schilderte, wie schwer Rechtsanwälten die Bezahlung der außergerichtlichen Beratungshilfegebühren gemacht werde. Die Zivilverfahren seien in den letzten Jahren um mehr als 30% zurückgegangen, weil die Leute mit den jetzigen Prozessen unglücklich sind. Rechtspfleger wollen keine Klageaufnahmen machen, weil sie entweder schlechte Muster verwenden müssten oder ihre Kompetenzen überschreiten würden.

Ein Anwalt unter den Zuhörern fragte, wie hoch denn der Justizhaushalt eigentlich sei. Bei einem Gesamtvolumen von 124 Mrd. Euro in 2023 seien rund 6 Mrd. Euro für das Ministerium der Justiz und für Migration BW vorgesehen. Ein Großteil werde aber für den Strafvollzug aufgewendet.

MRin Dr. Linkenheil erwiderte, sie habe am Folgetag ein Chefgespräch. Funktionierende Justiz sei gelebte Demokratie. Wenn der Bürger nicht gehört werde, wende er sich ab und glaube an Anderes.

Aus dem Publikum kam auch der Hinweis, dass die Außerwirkung der Gerichte verbessert werden sollte, etwa beim Einsatz von Sicherheitskräften oder der Innengestaltung.

MRin Dr. Linkenheil erläuterte, dass die Wachtmeister jetzt andere Aufgaben hätten und man auf Sicherheits-Dienstleister angewiesen sei. Es gebe leider keine Subventionierung oder Querfinanzierung.

Eine Anwältin fragte, warum denn nicht mehr auf außergerichtliche Mediation gesetzt werde und man doch auch eine „Mediationskostenhilfe“ einführen könne, z. B. in Kindschaftssachen, wie Umgangsstreitigkeiten.

Frau Tausch erklärte, dass es die außergerichtliche Streitbeilegung mit den Schlichtungsstellen für Verbraucher schon gebe, denen sich Unternehmen anschließen könnten.

Herr Rumler ergänzte bisher gebe es wenig ausgebildete „Güterichter“.

Die Geschäftsführerin des 74. Deutschen Juristentages (DJT), Frau Spiri, lud die Teilnehmer abschließend ein, die Diskussionen im September 2024 in Stuttgart fortzusetzen und stellte das vielfältige Fach- und Rahmenprogramm vor.

Der Chor der DHBW CHORMÄLEON rundete die Veranstaltung im architektonisch ansprechenden Foyer des Neubaus Technik ab und leitete zum geselligen Ausklang über.  

 

– eine Kooperation des Anwaltsverbands Baden-Württemberg, des DJT e. V., der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart und des Verbands der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Baden-Württemberg

 

Anmerkungen:

 

a) zur Komplexität des Rechts - die Bürokratie wächst

Aktuell gelten in Deutschland 1.797 Gesetze mit 52.401 Einzelnormen sowie 2.866 Rechtsverordnungen mit 44.491 Einzelnormen, also gut 97.000 Einzelnormen. Das ist ein Rekord. Niemals gab es mehr Paragrafen. Seit 2010 haben wechselnde Regierungen die Zahl der Gesetze um 7,6% gesteigert. Der bürokratische Produktivitätsfortschritt hat den ökonomischen längst überholt, vgl. Bt-Drucksache 20/11746.

 

b) zur staatlichen Unterstützung

30 Prozent beträgt der Rückgang der staatlichen Pro-Kopf-Ausgaben für die außergerichtliche Beratungshilfe und die Prozess- und Verfahrenskostenhilfe in der ordentlichen Gerichtsbarkeit zwischen 2008 und 2018.

Wendete der Fiskus 2008 noch 7,08 EUR pro Bürger für die staatlich unterstützte Rechtsverfolgung auf, waren es 2018 nur noch 4,93 EUR.1

Mit 36 % war hierbei der Rückgang der Aufwendungen für die Beratungshilfe, d. h. für die staatlich finanzierte außergerichtliche Beratung und Vertretung, besonders groß (von 1,03 EUR auf 0,66 EUR pro Kopf).

Die Kosten der Prozesskosten- und Verfahrenskostenhilfe („PKH/VKH“), die für gerichtliche Verfahren gewährt wird, gingen bei den ordentlichen Gerichten, bei denen rund 90 % der PKH/VKH-Aufwendungen anfallen, von 6,15 EUR auf 4,27 EUR pro Kopf zurück. Innerhalb Deutschlands zeigen sich hierbei erhebliche Unterschiede: So waren zuletzt die Pro-Kopf-Ausgaben im Saarland mit 7,56 EUR pro Einwohner mehr als doppelt so hoch wie in Bayern mit 3,43 EUR.

Erklärungen können 2014 verschärfte Bewilligungsvoraussetzungen für die Prozesskosten- bzw. Verfahrenskostenhilfe, aber auch eine verbesserte wirtschaftliche Lage der Bevölkerung im zurückliegenden Jahrzehnt sein.

Dem seit Jahren kontinuierlichen Rückgang des Geschäftsanfalls bei den deutschen Gerichten messen die Forscher des Soldan Instituts hingegen keine größere Bedeutung zu.

Der mit Abstand größte Kostenblock in der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe entfällt auf familiengerichtliche Verfahren. Die Zahl solcher Verfahren ist, anders als die Zahl der Verfahren in fast allen anderen Gerichtsbarkeiten, im Referenzzeitraum nicht rückläufig gewesen, sondern hat sogar leicht zugenommen.

Quelle: Presseinformation des Soldan Instituts für Anwaltsmanagement e. V. aus Essen 2020

1 Bei den Beträgen zur Prozess- und Verfahrenskostenhilfe handelt es sich nicht um die Nettobelastung des Fiskus, da es aufgrund der Regelungen des Kostenhilferechts zu nachträglichen Rückflüssen kommen kann. Solche Rückflüsse werden in den meisten Bundesländern statistisch nicht trennscharf den vorangegangenen Ausgaben zugeordnet. Nach Erfahrungswerten beträgt die Rückflussquote 15 bis 20 %.

 

c) zur Entwicklung der Anwaltschaft

Die Anwaltszahlen sind rückläufig. Doch welche Auswirkungen hat es, wenn binnen vier Jahren jeder Fünfzehnte in einer Kanzlei niedergelassene Rechtsanwalt seine Zulassung zurückgibt? Das Soldan Institut ist dieser Frage nachgegangen und berichtet über die Ergebnisse. Sie zeigen, wie sich verschiedene Entwicklungen überlagern.

 

d) zur Entwicklung der Gerichtsverfahren

Die Zahl der neu zu Gericht gelangten Verfahren ist seit der Jahrtausendwende deutlich rückläufig – in der Zivilgerichtsbarkeit besonders stark, in unterschiedlichem Ausmaß aber auch in der Straf- und der Familiengerichtsbarkeit bzw. in den Fachgerichtsbarkeiten.
Zugleich hat die Zahl der Richterstellen in der Justiz von 2008 bis 2020 von 20.101 auf 21.943 um fast 10 Prozent zugenommen.
Gleichwohl ist immer wieder von einer Überlastung der Justiz, von langwierigen Gerichtsverfahren die Rede. Dies deutet auf eine zunehmende Komplexität von Gerichtsverfahren in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht, auf eine größere zeitliche Belastung der Gerichte durch das einzelne Gerichtsverfahren hin – bei gleichzeitig geringerer Neigung von Verbrauchern und Unternehmen, bei Rechtsproblemen staatliche Gerichte anzurufen.

 

e) Einladungsflyer für Veranstaltung "Zugang zum Recht" am 26.06.2024

 

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